Während die Top-Minimalisten von Huffington Post und anderen großen Institutionen heimgesucht werden, erhalte ich eine Mail von Chiara, Gesine, Luise und Henriette ;-) Ehrlich gesagt liegt diese Interviewanfrage für eine Seminarfacharbeit der Mädels schon ein paar Monate zurück, aber ich wollte das Fragen-Antworten-Spiel hier unbedingt mal zur Schau stellen. Nichtzuletzt weil ich die Fragen als sehr gut gewählt empfunden habe, auch weil ich für mich das Thema Minimalismus nochmal reflektieren konnte.

Los gehts:

Frage 0: Möchtest du anonym bleiben oder dürfen wir deinen Namen in der Arbeit nennen?
Da bin ich flexibel. Wie es besser in das Konzept eurer Arbeit passt.

Frage 1: Was gehört für dich zum Minimalismus dazu? Was macht dich persönlich zum Minimalisten? Verfolgst du damit ein bestimmtes Ziel?
Minimalismus bedeutet für mich primär ein konsumkritisches Denken und Handeln. Hierzu gehört für mich das Hinterfragen, ob ich eine bestimmte Sache – nehmen wir bspw. einen Rasenmäher – wirklich neu kaufen muss, oder ob zuvor die Möglichkeit besteht,

  • einen alten Rasenmäher zu reparieren,
  • beim Nachbarn (gerne auch gegen Gebühr) einen auszuleihen,
  • einen benachbarten Schüler zu fragen, ob er (gegen Gebühr oder Pizzaeinladung) meinen Rasen mähen würde,
  • oder ob ich gebraucht einen bekommen kann.

Der Minimalismus hat mir ein Tor zu anderen Themen geöffnet. Das sind bspw. Umweltbewusstsein, Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, usw. – Themen, die mich immer mal wieder beschäftigen. Ein Ziel verfolge ich nicht direkt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mir gut tut über weniger nicht genutzten Besitz zu verfügen. Jedes Teil dass ich abschaffen konnte, hat zu einem befreiteren Aufatmen geführt. Geringere Kosten, weniger administrativer Aufräumaufwand, usw.

Minimalismus beinhaltet für mich aber nicht nur das Reduzieren von Dingen, sondern auch das Abgewöhnen überflüssiger Verhaltensmuster. (Bspw. Plastiktüten an der Kasse kaufen, ohne drüber nachzudenken. Stattdessen Papiertüten kaufen oder besser noch: Eigenen Beutel/Karton/Kiste mitbringen.)

Minimalismus bedeutet auch: Verzicht auf Überfluss. Das beinhaltet für mich das Ziel, mich mit den vielen Menschen weltweit ein wenig mehr zu verbinden, die überhaupt nie die Möglichkeit bekommen werden im Überfluss zu leben.

Frage 2: Wann bist du zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung gekommen? Ab welchem Zeitpunkt hast du bewusst minimalistisch gelebt (also wusstest du für dich: Ich bin Minimalist)? War es bis dahin eher ein schleichender Prozess oder eher eine einschneidende/ radikale Entscheidung?
Wir waren mit ein paar Leuten in der Wohnung einer Freundin zu Besuch. Sie hat einen sehr reduzierten Lebensstil gelebt. Ich denke mich hat der Überblick beeindruckt, den sie über ihre Dinge hatte. Das wollte ich so für mich auch haben und dann habe ich begonnen, Sachen abzuschaffen. Seitdem ist es ein fortwährender Prozess. Kein Trend, den man irgendwann wieder vernachlässigt oder durch einen anderen Trend ablöst, sondern ein Umdenkprozess.

Frage 3: Wie hast du vorher gelebt? Hast zu exzessiv/viel oder eher schon bewusst/wenig konsumiert? War die Umstellung schwer oder leicht zu meistern?
Ich war bis kurz vor diesem Zeitpunkt noch Student. Also jemand mit relativ geringen finanziellen Möglichkeiten. Einen außergewöhnlich exzessiven Lebensstil hätte ich mir nicht leisten können. Aber es war ein unbewusster Lebensstil. Heute betrachte ich viele Dinge aus einem anderen Blickwinkel/von einem erweiterten Horizont aus/reflektierter. Die Umstellung war sehr einfach. Ich habe viel verkauft und mich über die Einnahmen gefreut. Ich habe viel verschenkt und mich mit den Beschenkten gefreut. ;-)

Frage 4: Wie hat dein Umfeld auf deinen Lebenswandel reagiert? Gab es Momente, in denen du auf Unverständnis gestoßen bist?
Man hat es belächelt. Damals (vor ca. 7 Jahren) war der Begriff Minimalismus noch nicht so präsent wie heute. Mittlerweile ist er durch die Medien sehr breit getreten worden, was ich durchaus als positiv empfinde. Eltern sowie Schwiegeltern haben in der Anfangszeitunseres exzessiven Reduzierwahns gefragt, ob sie ihre eigenen Stühle mitbringen müssen, wenn sie zu Besuch kommen. Eine nicht ganz unberechtigte Sorge…

Frage 5: Hat sich im Laufe der Zeit deine Einstellung zum oder deine Auffassung von Minimalismus geändert?
Ja. Minimalismus ist nicht alles. Es gibt sehr viele Themen, die mindestens genauso, wenn nicht sogar noch wichtiger sind. Minimalismus ist eine Idee, eine andere Denke. Das passt nicht zu jedem und es sollte auch nicht jeder Minimalist sein. Es ist auch toll zu Leuten gehen zu können, die alles sammeln und horten. Dort kann man sich Sachen borgen, Material erfragen, Werkzeuge ausleihen, usw. So etwas muss es also irgendwie auch geben. Minimalismus ist darüber hinaus für Singles sehr leicht umzusetzen. Für uns als 5-köpfige Familie, ist es nach wie vor ein Experiment, das von meiner Frau und mir gelebt wird, das wir aber bewusst nicht versuchen unseren Kindern überzustülpen.

Frage 6: Im Vergleich zu deinem Lebensstil vor dem Minimalismus: Bist du zufriedener geworden? Kannst du dafür einen bestimmten Grund nennen?
Hinsichtlich meines Konsumverhaltens bin ich jetzt sehr viel zufriedener mit mir. Dieser Umdenkprozess hat meine Prioritäten etwas verrückt. Das ist sicherlich ein Grund. Diese neuen Prioritäten haben zu spannenden Entscheidungen geführt, die den Alltag schon oft ereignisreicher gestaltet haben.

Frage 7: Was nützt dir der Minimalismus im Alltag? Kannst du konkrete Vorteile aus deinem Lebensstil ziehen?
Ich spare Geld. Ich habe mehr Platz. Ich kaufe nicht immer gleich drauf los, sondern denke über Alternativen nach, was sicherlich förderlich für meine Kreativität ist.

Frage 8: Könntest du dir vorstellen nicht mehr minimalistisch zu leben? Hast du es in Zukunft vor?
Nein. Wie schon gesagt: Ich betrachte das ganze als Umdenkprozess. Dieser hat bei mir stattgefunden und ist fest verankert.

Frage 9: Glaubst du, dass Minimalismus für jeden Menschen adaptierbar ist? Braucht man bestimmte Voraussetzungen? Was hältst du von “Mode- Minimalisten” (die sozusagen um des Trends willen auf den Zug aufspringen)?
Oh, der Frage hatte ich oben schon ein wenig vorweggegriffen. Theoretisch könnte jeder Minimalist sein. Ob das gut ist und funktionieren würde ist allerdings eine andere Frage. Ich habe im Zuge des Minimalismus ausschließlich Dinge getan, die gut für mich waren. Ich hätte bspw. nie meine Gitarre verkauft, ich könnte nur schlecht auf Smartphone oder Notebook verzichten und ich liebe mein Mountainbike. Man muss sich in seinem Umfeld wohlfühlen. Würde es jemandem mental schlecht damit gehen Dinge zu reduzieren, sollte er es unbedingt sein lassen.

Minimalismus ist für mich kein Trend. Aber auch das ist sicher personenbezogen. Wer es als Trend sieht und gerne mal ausprobieren möchte… Warum nicht?

Frage 10: Was hältst du von Gütergemeinschaften? Gehören diese für dich zum Minimalismus? Wäre das etwas für dich?
Ja. Das Konzept des Teilens ist für mich gelebter Minimalismus. Wir leben in einer sehr dörflichen Gegend. Hier hat jeder einen Rasenmäher, mindestens zwei Autos, in jedem Haushalt mit Kindern steht ein Trampolin im Garten, usw. Das könnte man sehr viel sinnvoller, gemeinschaftsfördernder und sparsamer gestalten.

Frage 11: Wie, glaubst du, wird sich Minimalismus weiterentwickeln? Was würdest du dir wünschen?
Die Szene der Minimalisten wächst zwar ständig, aber in der westlichen, vom Wirtschaftswachstum geprägten Konsumgesellschaft hat sie bislang denke ich nur eine kleine Stimme. Aber sie verschafft sich mehr und mehr Gehör, nicht zuletzt durch die Medien. Wenn wir dadurch Impulse setzen und andere Menschen motiveren können bewusster, nachhaltiger, reduzierter zu leben, trägt das vielleicht dazu bei, das große Ungleichgewicht dieser Welt ein wenig mehr in Waage zu bringen.